Rechtsverletzung eines Bewerbers bei dienstlicher Auswahlentscheidung
BVerwG Beschl. v. 26.3.2024 – 2 VR 10.23
1. Die Beurteilung der Frage, ob eine dienstrechtliche Auswahlentscheidung die Rechte eines Bewerbers aus Art. 33 II GG verletzt, richtet sich nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Auswahlentscheidung. Nach diesem Zeitpunkt – etwa im Verlauf des Widerspruchsverfahrens – eingetretene Änderungen sind nicht zu berücksichtigen.
2. Der Bewerbungsverfahrensanspruch verpflichtet den Dienstherrn nicht nur zur leistungsgerechten Auswahl, sondern auch zur chancengleichen Behandlung aller Bewerber im Verfahren.
Finanzieller Ausgleich für unionsrechtswidrige Zuvielarbeit eines Polizeibeamten
BVerwG (2. Senat), Urteil vom 17.02.2022 – 2 C 5.21: Ob und inwieweit der Mitgliedstaat von der Ermächtigung in Art. 16 Buchst. b) RL 2003/88/EG zur Ausdehnung des Bezugszeitraums für die Einhaltung der wöchentlichen Höchstarbeitszeit auf bis zu vier Monaten Gebrauch macht, ist Sache der gesetzgebenden Organe des Mitgliedstaates. Die Ausübung der Ermächtigung ist nicht den das Recht anwendenden nationalen Gerichten in dem Sinne überantwortet, dass diese den Bezugszeitraum nach dem Aspekt der "Sachgerechtigkeit" festlegen können (Bestätigung der bisherigen Rechtsprechung, BVerwG, Urteil vom 17. September 2015 - 2 C 26.14 -).
OVG Lüneburg (18. Senat), Beschluss vom 06.09.2021 – 18 LP 2/18: Nach § 60 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 NPersVG können Mitglieder einer Personalvertretung nur die Teilnahme an einer sog. "verwaltungsinternen Prüfung" beanspruchen, deren Wirkungen sich im Falle des Bestehens wie im Falle des Nichtbestehens auf den Bereich der Dienststelle beschränken (hier verneint für die Laufbahnprüfung für den Fachbereich Wasserwirtschaft (erstes Einstiegsamt der Laufbahngruppe 2 der Fachrichtung Technische Dienste)).
Zurückstellung einer Beförderung wegen Leistungsabfalls ohne Anlassbeurteilung
VGH München (3. Senat), Beschluss vom 24.03.2021 – 3 ZB 19.25411: Im Beamtenrecht ist kein Anspruch auf Beförderung normiert; ein solcher kann sich nur ergeben, wenn eine freie und besetzbare Planstelle vorhanden und das Beförderungsermessen auf Null reduziert ist. Ein Beamter kann vom Stufenaufstieg ausgenommen werden, wenn seine Leistung den mit dem Amt verbundenen Mindestanforderungen nicht entspricht, auch wenn diese Leistungsfeststellung regelmäßig mit der periodischen Beurteilung verbunden ist. Dass ein auffallender Leistungsabfall der Beamtin lediglich in dem angefochtenen Beförderungszurückstellungsbescheid und nicht in einer entsprechenden Anlassbeurteilung festgestellt wurde und damit die Beförderungszurückstellung wegen Nichtbeachtung von Verfahrensvorschriften formal rechtswidrig ist, kann keinen Schadensersatz begründen, wenn der durch die unterlassene Beförderung verursachte Schaden auch bei Beachtung der Verfahrensvorschriften, hier Erstellung einer Anlassbeurteilung, eingetreten wäre.
Versicherungsrecht
Leistungsausschluss in der Auslandsreisekrankenversicherung "bei einem bereits vorher bekannten medizinischen Zustand" unwirksam
BGH, Urteil vom 10.7.2024 – IV ZR 129/23
Eine Klausel in der Auslandsreisekrankenversicherung, wonach "bei einem bereits vorher bekannten medizinischen Zustand", wofür Beispiele genannt werden, die jedoch keine klare Linie erkennen lassen, bei welchen weiteren "Zuständen" der Schutz ausgeschlossen sein soll, ist laut BGH intransparent und daher unwirksam. Außerdem entschieden die Richterinnen und Richter, dass gleichwertige, kollidierende Subsidiaritätsklauseln bei einer Mehrfachversicherung sich gegenseitig aufheben.
BGH, Urteil vom 22.06.2022 - IV ZR 14/21 Ein Versicherungsnehmer einer Lebensversicherung kann sich laut Bundesgerichtshof nicht auf ein «ewiges» Widerspruchsrecht gegen den Versicherungsvertrag nach § 5a VVG a.F. berufen, wenn er damit eine bloß formal bestehende Rechtsposition ohne schutzwürdiges Eigeninteresse ausnutzen will (hier: fehlende Angabe in den Verbraucherinformationen über die Zugehörigkeit des Versicherers zu einem Sicherungsfonds).
Überschwemmung und Versicherungsschutz
KG Berlin, Beschluss vom 03.09.2021 - 6 U 70/21 Definieren die Versicherungsbedingungen einer Gebäudeversicherung die Elementargefahr «Überschwemmung» als «eine Überflutung des Grund und Bodens, auf dem das versicherte Grundstück steht (Versicherungsgrundstück), durch a) Ausuferung von oberirdischen Gewässern …, b) Witterungsniederschläge …», ist es laut Kammergericht erforderlich, dass sich Wasser auf der Geländeoberfläche, also auf dem Grund und Boden außerhalb der Bebauung, sammelt und in ein Gebäude eindringt, weil es auf dem Gelände weder vollständig versickern noch sonst auf natürlichem Wege abfließen kann. Für eine bedingungsgemäße Überschwemmung reicht es deshalb nicht aus, dass sich Regenwasser im Kellerlichtschacht sammelt, von dort in das Gebäude eindringt und auf dem Boden des Kellergeschosses steht.
Corona führt zu Betriebsschließungen
In diesem Zusammenhang sind folgende versicherungsrechtliche Fragen relevant:
Kommt in einem Betrieb ein Verdachtsfall auf, erfordert dies entweder bereits aus der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers oder auf behördliche Weisung hin die „vorübergehende“ Schließung des jeweiligen Betriebes.
Die üblicherweise abgeschlossenen Betriebsunterbrechungsversicherungen greifen hier nicht ein. Diese setzen einen Sachschaden voraus, der durch eine versicherte Gefahr verursacht worden sein muss. Daran fehlt es im Fall einer virusbedingten Betriebsschließung. Anders ist es nur bei speziellen Versicherungsverträgen, in denen die Schließung des Betriebes wegen meldepflichtigen Krankheiten gesondert versichert ist, was im Gesundheitswesen der Fall ist.
Schäden durch höhere Gewalt sind ebenfalls vom Versicherungsschutz ausgenommen worden, was letztendlich zu bejahen ist, wenn ein Schadensereignis auch durch die zu erwartende äußerste Sorgfalt nicht abwendbar ist und auch dessen Eintritt bei Vertragsschluss nicht vorhersehbar war.
Was unabwendbar ist, dürfte letztendlich eine Frage sein, die die Gerichte zu beantworten haben. In einer immer enger zusammenwachsenden Welt ist ein allgemeines Lebensrisiko, das sich mit einem Grippevirus verwirklicht, nicht zwingend ausgeschlossen.
Jedenfalls lohnt sich der Blick in das konkrete Vertragswerk. Ich helfe Ihnen gerne!
LG München I, Urt. v. 1. 10. 2020 – 12 O 5895/20: Knüpft nach den AVB einer Betriebsschließungsversicherung die Leistungspflicht des VR an einer Schließung des Betriebs durch die zuständige Behörde an, so kommt es weder darauf an, ob dies durch einen individuell gegen den VN gerichteten Rechtsakt oder aber durch eine allgemein geltende Maßnahme erfolgt, noch setzt es voraus, dass der versicherte Betrieb von dem Auftreten der Krankheit oder des Krankheitserregers konkret betroffen ist (Fortführung LG München I r+s 2020, 578). Auch auf die Rechtmäßigkeit der Maßnahme kommt es nicht an, sofern diese nicht offensichtlich unwirksam ist.
Interessant war im Streitfall, dass von einer bedingungsgemäßen – faktischen – Betriebsschließung auszugehen war, weil es sich bei dem weiterhin möglichen Außerhausverkauf um ein vollkommen untergeordnetes Mitnahmegeschäft handelte. In der sehr umstrittenen und von den jeweiligen Versicherungsbedingungen abhängigen Frage, ob COVID-19 bzw. SARS-CoV-2 von der Deckungspflicht überhaupt erfasst werden. Hierbei bestand im Streitfall die Besonderheit, dass zwar weder COVID-19 noch SARS-CoV-2 in den vereinbarten Versicherungsbedingungen erwähnt sind, die Versicherung aber zu einem Zeitpunkt abgeschlossen wurde (März 2020), in dem sich die Gefahr bereits abzeichnete. Der Versicherer hatte sich auch entsprechend gegenüber seinen Vermittlern zu einer Umdeckung des Risiken geäußert und der konkrete Versicherungsvermittler hatte dann vor diesem Hintergrund zur Umdeckung des Risikos geraten. Insoweit überrascht das Ergebnis nicht. Das Gericht bewertet dennoch Inhalt der Police und die einbezogenen Versicherungs-bedingungen. Letztere werden als intransparent i. S. v. § 307 Abs. 1 S. 2 BGB angesehen.
OLG Dresden, Beschluss vom 21.11.2019 - 4 U 2082/19: Eine Leistungskürzung auf Null wegen der grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalls kommt nur ausnahmsweise in Betracht. Dass das Fahrzeug unverschlossen und mit Fahrzeugschlüssel im Zündschloss abgestellt wird, reicht hierfür nach einem Beschluss des Oberlandesgerichts Dresden jedenfalls dann nicht aus, wen dies für Dritte auch aufgrund des Abstellorts nicht sofort zu erkennen ist.
EuGH, Urteil vom 20.06.2019, C-100/18: Der Europäische Gerichtshof vertritt die Auffassung, dass sich das Abstellen eines Fahrzeuges seit mehr als 24 Stunden in einer Privatgarage eines Hauses noch als "Verwendung eines Fahrzeugs" im Sinn der Richtlinie über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung verstsehen lässt. Im August 2013 fing ein in der Privatgarage eines Hauses geparktes Fahrzeug Feuer, das seit mehr als 24 Stunden abgestellt worden war. Dadurch wurden Schäden am Haus verursacht. Der Brand ging vom Schaltkreis des Fahrzeugs aus. Der Haftpflichtversicherer des Fahrzeuges muss Schadensersatz leisten.
OLG Naumburg, Urteil vom 02.05.2019 - 4 U 95/18: Das Betreiben einer Kfz-Hobbywerkstatt, die mit Propangas geheizt wird und in der Schweißarbeiten durchgeführt werden, ist keine solche ungewöhnliche Beschäftigung, die einen Ausschluss des Versicherungsschutzes für Gefahren einer ungewöhnlichen und gefährlichen Beschäftigung in den Besonderen Bedingungen und Risikobeschreibungen (BBR) für die Private Haftpflichtversicherung rechtfertigt.
AG München, Urteil vom 24.4.2019, 341 C 24131/18: Ein geschädigtes Leasingunternehmen hat keinen Anspruch auf Schadensersatz für vorgerichtliche Anwaltskosten, wenn es um Ansprüche aus einem einfach gelagerten Verkehrsunfall geht. Letzteres ist dann anzunehmen, wenn ein geparktes Fahrzeuge beschädigt wurde. Die bloße Möglichkeit, dass Einwendungen zur Schadenshöhe erfolgen, rechtfertigen nicht die Einschaltung eines Rechtsanwaltes auf Kosten des Unfallgegners.
AG Frankfurt a.M., vom 18.02.2019, 32 C 2803/18: Die Hausratversicherung muss bei fehlenden Aufbruchspuren nicht für die aus einem Auto entwendeten Gegenstände aufkommen, selbst wenn es möglich erscheint, dass Diebe den Verriegelungsmechanismus elektronisch manipuliert haben könnten. Der Kläger forderte von seiner Hausratversicherung 3.000 Euro. Unbekannte Täter hatten aus seinem abgestellten Fahrzeug verschiedene Gegenstände entwendet, ohne Aufbruchspuren zu hinterlassen. Nach den maßgebenden Bedingungen ist der beklagte Versicherer verpflichtet, Entschädigung zu leisten, wenn der Diebstahl "durch Aufbrechen verschlossener Kraftfahrzeuge oder Verwendung falscher Schlüssel oder anderer nicht zum ordnungsgemäßem Öffnen bestimmter Werkzeuge" begangen wurde. Das Amtsgericht wies die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, dass der Kläger ein "Aufbrechen" nicht habe beweisen können, weil Aufbruchspuren nicht vorhanden waren. Einen Diebstahl mittels "Relay Attack" habe der Kläger aber nicht bewiesen. Der Täter fängt hier das Funksignal des Autoschlüssels ab, um mittels der ausgespähten Schlüsseldaten das verschlossene Auto wieder zu öffnen. Dies könne als unbefugtes Öffnen eines verschlossenen Kfz mittels eines nicht zum ordnungsgemäßen Öffnen bestimmten Werkzeugs im Sinne der Klausel angesehen werden. Der Kläger habe aber nicht den Nachweis geführt, dass das Auto tatsächlich verschlossen war, das heißt die typischen Verschlussgeräusche beziehungsweise das Aufleuchten der Blinker abgegeben hat. Das sogenannte "Jamming" erfüllt demgegenüber schon nicht die aufgestellten Bedingungen. Dabei blockiert ein Sender, der "Jammer", die Funkfernbedienung des Schlüssels, sodass das Fahrzeug erst gar nicht verschlossen werde. Beim "Jamming" fehlt es stets an der bedingungsmäßigen Voraussetzung, da der Diebstahl aus einem verschlossenen Fahrzeug erfolgt sein müsse.